DIE MODERNE SPIRITUELLE WISSENSCHAFT
Welt und Mensch als Schöpfung der Universalen Intelligenz und Weisheit


Der Aufstieg der Seele in die Himmelssphären
Die Einweihung im Alten Ägypten war durch undurchdringliche Mauern des Schweigens von der Neugier der Außenwelt abgeschirmt. Nur in wenigen kurzen Andeutungen in den alten Texten wird auf Vorgänge der Einweihung hingewiesen. Charakteristisch für solche Andeutungen sind Schlüsselworte und Begriffe wie „Eintritt“, „Einführung“, „Erhebung zum Himmel“ und „Schauen“. Nicht selten begegnen uns auch Vorgänge wie das „Öffnen“ von Fenstern oder Toren. Manchmal kommt eine Einweihung durch einen Titel zum Ausdruck; so hieß der Hohepriester von Heliopolis „Größter der Schauenden“. Mit dem „Schauen“ ist dabei immer das Sehen mit dem Dritten Auge, dem Horusauge, gemeint. Ein weiterer Priestertitel lautete „der die Geheimnisse des Lichtlandes schaut“ [9]. Mit den öfters erwähnten „Geheimnissen“ sind alle diejenigen Erkenntnisse gemeint, die nur mit dem geöffneten Dritten Auge, dem Horusauge, wahrgenommen werden können. Zugleich drücken die „Geheimnisse“ aus, was mit dem griechischen Wort „Mysterien“ gemeint war.

Die Einweihung ist mit einem Aufstieg in die Spirituellen Sphären verbunden, die in den Texten meist als „Himmel“ bezeichnet werden. Die Himmelswelten gewähren den Seelen nicht nur Licht und Wärme, sondern enthalten auch eine unendliche Fülle von Einzelheiten, von Vorgängen und Wesen, die Gegenstand der übersinnlichen Erkenntnis sind. „Mögest du dich zum Himmel erheben, mögest du schauen, was in ihm ist“, heißt es deshalb [9]. „Du sollst die Fenster öffnen vor der Neunheit [der ursprünglichen Götter], damit du das Geheimnis dessen siehst, was in ihr ist.“ Nut war die Göttin des gestirnten Himmels: „Mögest du Nut erreichen und die Geheimnisse schauen.“ Die Götter selbst laden den Menschen ein, ihre Sphären zu betreten. Der Sonnengott fordert die Seele auf: „Tritt ein zum Gott!“ Ein Myste bekennt, daß er „auf geheimen Wegen“ in den Himmel aufgestiegen sei.

„Bei der Priesterweihe geht es um die Einführung in das Allerheiligste, das durchweg als ‚Himmel’ oder ‚Horizont’ verstanden wird, um den im Kultbild gegenwärtigen Gott zu schauen“ [9]. Hin und wieder berichten Texte von solchen Einweihungserlebnissen: „Ich erhielt Zutritt zum Gott als trefflicher Jüngling. Ich wurde eingeführt zum Horizont des Himmels … Nachdem ich ich das Schlechte mit der Reinheit vertauscht hatte … trat ich vor den heiligen Ort, wobei ich mich sehr fürchtete wegen seiner Erhabenheit. Ich erhielt Zutritt zum Gott, damit ich jene heilige geheime Gestalt des Schöpfers der Götter sehe. Zum Horizont des Himmels stieg ich empor … Ich sah Amun in seinem Horizont in der vollkommenen Säulenhalle“ [9]. Mit dem Wort „Horizont“ ist in diesen Texten jeweils das „Lichtland“ oder die „Lichtsphäre“ eines Gottes gemeint.

Von König Thutmosis III. besitzen wir ein hochinteressantes Selbstzeugnis über ein spontanes Erleuchtungserlebnis, das ihm noch vor seiner eigentlichen Einweihung zuteil wurde: „Ich stand in der nördlichen Säulenhalle, (als Amun heraustrat) aus der Heiligkeit seines Horizonts. Er machte Himmel und Erde festlich mit seiner Schönheit …(er tat) mir (auf) die Pforten des Himmels, er öffnete mir die Tore seines Horizonts. Ich flog zum Himmel als ein göttlicher Falke und schaute sein geheimes Bild im Himmel“ [9].

Anhand dieser Zeugnisse erhalten wir eine gewisse Ahnung von dem, was bei den Einweihungen vorgegangen war. Das gesamte altägyptische Geistesleben, aber auch die Königsherrschaft fußten auf solchen Erlebnissen. Wenn über die Vorgänge bei der Einweihung nicht gesprochen wurde, besitzen wir doch unzählige indirekte Zeugnisse in den Erkenntnissen, die im erleuchteten Zustand gewonnen wurden. Sie bilden die Gesamtheit des Spirituellen Wissens der alten Ägypter: Erkenntnisse über die Götter und ihre Funktionen, über die Weltentstehung, den Kosmos, das Leben nach dem Tode und vieles mehr.

Neben dem Roman des Apuleius besitzen wir deshalb noch eine weitere unschätzbare Originalquelle, in der das Wissen der ägyptischen Eingeweihten über die Seelen- und Geisteswelt und die himmlischen Sphären niedergelegt ist – die Jenseitstexte oder Totenliturgien. Erinnern wir uns an den Satz des Apuleius, der in der Gestalt des Lucius seine eigenen Einweihungserlebnisse schilderte: „Ich ging bis zur Grenzscheide zwischen Leben und Tod. Ich betrat Proserpinas Schwelle!“ Wie im zweiten Band geschildert hatten auch Herakles, Odysseus und Äneas das Reich der Persephone (Proserpina) betreten und dort zahlreiche verstorbene Seelen getroffen. Das Wissen der ägyptischen Eingeweihten über die Regionen der Seele und des Geistes reichte noch weiter und höher, bis in die Sternenwelt. In diese Welten waren sie während der Einweihung selbst aufgestiegen. Die Totenliturgien schildern uns deshalb originale Erfahrungen, die bei der Einweihung gemacht wurden.

Das Wissen um diese Sphären kam den Priestern zugute, welche die Aufgabe übernahmen, mit einer verstorbenen Seele zu kommunizieren. Für die Seelen sind die Welten und Wesen, die sie nach dem Ablegen des Körpers erleben, zunächst unbekannt. Sie brauchen deshalb Aufklärung und Führung in den Jenseitsreichen. Zu diesem Zweck wendet sich ein Vorlesepriester an die entkörperte Seele und liest ihr aus den Totenliturgien vor. Genau dem gleichen Vorgang werden wir weiter unten in Tibet begegnen; die geschilderten Vorgänge sind in beiden Kulturen bis in die Einzelheiten völlig identisch.  Natürlich hört die entkörperte Seele nicht physische Worte, sondern nimmt ihren Sinngehalt wahr. Zahlreiche solcher Jenseitsliturgien sind gesammelt worden. Alle im folgenden in Anführung gesetzten Originalzitate entstammen dem dreibändigen Werk „Altägyptische Totenliturgien“ von Jan Assmann [9]. (Das Werk wendet sich an den wissenschaftlich Arbeitenden). Die vom Vorlesepriester gesprochenen Worte richten sich direkt an die verstorbene Seele, welche die Ägypter den Ba nannten. Abgebildet wurde der Ba als ein Seelenvogel mit menschlichem Gesicht. Damit symbolisierte er die freie, ungehinderte  Beweglichkeit der Seele in den Jenseitsreichen.

Dem Gestorbenen wird allmählich bewußt, daß er auch getrennt vom Körper Wahrnehmungen haben kann. Beim Erwachen in seinem neuen, körperlosen  Zustand erblickt er als erstes ein intensives Licht. Dieses Licht, so wird er aufgefordert, soll er betrachten, denn es führt ihn zur übersinnlichen Wahrnehmung und dadurch zum Erwachen in der Seelenwelt. Das Licht nimmt die Blindheit von seinen Augen, die nun auf neue Weise geöffnet werden und ihm die seelische Umwelt erschließen. Dieser Vorgang wird symbolisch dadurch ausgedrückt, daß der Verstorbene mit der goldenen Uräusschlange gekrönt wird, dem Organ der übersinnlichen Wahrnehmung. Verbunden mit ihm geht das „Horusauge“ in die Totenwelt ein, was nur ein anderer Ausdruck für die Möglichkeit übersinnlichen Schauens ist. Ohne die Kraft der „Schlange“, ohne das Horusauge, wäre der Verstorbene in der Seelenwelt blind. Was er mit diesem Geistesorgan wahrnimmt, sind keine physischen Formen und Tatsachen, sondern spirituelle. Im physisch-materiellen Dasein besitzen nur die Eingeweihten das Dritte Auge. Indem der Mensch beim Sterben den Körper verläßt und mit dem Horusauge sieht, erreicht er den Zustand, den die Eingeweihten bereits auf Erden verwirklicht haben. Auch mit der Fähigkeit übersinnlichen Hörens und Sprechens wird der Verstorbene nun ausgestattet.

Die Erfahrungen der Seele unmittelbar nach dem Sterben übergehen wir hier. Nach mancherlei Erlebnissen gelangt die Seele zum Ort des Jenseitsgerichts. Unter Aufsicht des Osiris, des Herrn der Verstorbenen, wird sein Herz gewogen, das heißt sein Charakter und seine irdischen Taten einer Prüfung unterzogen.
Das Jenseitsgericht ist unumgänglich und hat den Sinn, den Seelen den weiteren Aufstieg in die höheren Sphären des göttlichen Lebens zu ermöglichen. Es befreit den Menschen „von den Sünden, die er begangen hat, damit er das Antlitz der Götter schauen kann“. Die Welt des Göttlichen ist eine Welt des Guten, der Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung und Schönheit. Nur eine Seele, welche diese Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade in sich verwirklicht hat, kann in diese Sphären aufsteigen.

Oben wurde ausführlich dargelegt, daß Osiris die Gottheit des Mondes ist. In seinem Reich, das heißt in der spirituellen Sphäre des Mondes, spielen sich das Jenseitsgericht und die nachfolgende moralische Läuterung ab. Auch die Griechen und andere Völker verlegten die erste Phase des nachtodlichen Lebens in die Mondensphäre. Mit der moralischen Prüfung und Läuterung ist das Leben der Seele in der Mondensphäre jedoch keineswegs erschöpft. Der Gestorbene erlebt sich dort selbst als Seele mit allen ihr eigenen  Neigungen und Eigenschaften. Dazu gehören auch die freie, unbegrenzte Beweglichkeit und das gesteigerte Glücksgefühl paradiesischen Erlebens.

Von den Ägyptern wurde die Seele, der Ba, als ein Vogel mit menschlichem Gesicht abgebildet. Das hatte seine Ursache und Begründung im eigenen Erleben. Die Seele breitet im leibbefreiten Zustand gleichsam ihre Flügel aus und erhebt sich in die unbegrenzten Weiten der Seelenwelt. Die Seele ist ja ein Teil der Weltseele und in dieser potentiell allgegenwärtig, sie ist ein Teil des Osiris, der Seele des Weltalls, und wird auch so angerufen. Sie verwandelt sich jetzt gleichsam in einen Phoenix, eine Schwalbe, einen Falken, einen Reiher. Als geflügeltes Seelenwesen und in Gesellschaft des Phoenix „reist sie mit dem Südwind“ und „eilt mit dem Nordwind“ dahin. Ihre Schritte sind schneller „als der Blick des Gesichts“, geschwinder „als das Zwinkern des Auges“. Ausgestattet mit unbegrenzter Bewegungsfähigkeit fliegt die Seele gleichsam über Gewässer, über Seen und Flüsse und überquert das Meer gleichsam zu Fuß. Die „Seele lebt und schwebt nieder, wo sie will.“ „Frei ausschreitend an den heiligen Stätten“ kann sie sich überall hinbegeben, wohin es ihr Herz zieht. Sie kann sich begeben „an den Ort, an dem das Herz zu sein wünscht“. „Frei auszuschreiten auf den Wegen der Ewigkeit“ ist nun ihre neue, ungewohnte Freude. Ungehindert überquert sie im Fluge die Steppen und Flußbetten. Ohne an Grenzen zu stoßen, vermag sie „den Himmel zu durchwandern“. Alle genannten Flüsse, Seen, Steppen etc. sind natürlich nicht Teile der physischen Geografie, sondern Elemente einer umfassenden „Seelenlandschaft“ spiritueller Natur.

Die Ausdehnung in die Weiten der Weltseele, die ungehinderte, grenzenlose Bewegung und die real erlebte Freiheit verschaffen der Seele ein neues, beglückendes Lebensgefühl. Doch sind diese Erlebnisse nur ein Teil der vielen paradiesischen Freuden, die sie in der Seelenwelt, der spirituellen Mondensphäre, erwarten. Die „Stätten der Lust“ halten unzählige Freuden für die Seele bereit. Die ägyptischen Eingeweihten konnten den Menschen diese Freuden nur symbolisch beschreiben. In ihren Jenseitsschilderungen mußten sie anknüpfen an deren irdische Erfahrungen, die sich auf die Sinnenwelt beziehen. Dieser Umstand muß bei allen folgenden Schilderungen unbedingt beachtet und verstanden werden. In der Seelenwelt gibt es keine physische Geografie, kein physisches Wasser, keine Blumen, keine Gegenstände, keine physischen Sinnesempfindungen. Die Seelen erleben jedoch das seelische Äquivalent solcher Sinnesempfindungen. Ihre Wünsche und Erwartungen vermitteln ihnen seelische Empfindungen, welche die Entsprechungen für kühles Wasser, für den Duft von Blumen, für Farbwahrnehmungen etc. sind. Nur auf diesem Hintergrund sind die hier zu schildernden Erfahrungen im Jenseits zu verstehen. Alle sinnenhaften Erlebnisse sind deshalb auf seelische Empfindungen zu übertragen. In diesem Sinne sind sie innerhalb der subjektiven Sphäre des seelischen Erlebens durchaus real.

Mit dem fortschreitenden Leben in der jenseitigen Welt fallen immer mehr „Belastungen“ von der Seele ab, die sich deshalb zunehmend freier und leichter fühlt. Auch die vielen Zwänge des irdischen Lebens existieren nicht mehr. Der in der Erdenwelt herrschende Zeitdruck weicht nun der „Muße“ und Gelöstheit eines befreiten Lebens. Die Seele vergißt die vielen Sorgen, die sie im Erdenleben quälten. Endlich kann sie allein „dem Herzen folgen“. Im Herzen wohnen vielerlei Wünsche des Menschen, die nun, sofern sie in der Weltordnung berechtigt sind, ihrer Erfüllung harren. Und so winken der Seele unzählige „Herzensbelustigungen“. Die Wünsche führen die Seele zu den „Stätten der Lust“, wo sie ihre vielfältige Erfüllung finden. Denn die Seele kann zu jedem Ort gelangen, „an dem das Herz zu sein wünscht“. Nun erfährt sie die „Herzenssüße“ eines seligen Daseins in der Wunschwelt, welche die Inder das Kamaloka nennen, den Ort der Erfüllung aller Wünsche.

Hier quält den Menschen nicht versengende Gluthitze, hier fächelt der Himmel der Seele Luft zu, und der „Hauch des Nordwindes“ berührt wohltuend und kühlend das Gesicht. In seliger Ruhe sitzt man im Schatten der Myrrhenbäume. Zur Erfrischung taucht man in das kühle Wasser der Seen. Beim Bad in den Teichen ist man umgeben von weißen Lotusblüten, deren Knospen sich dem Lichte öffnen. Nach dem Bade legt man Gewänder aus feinem, blendend weißen Linnen an.

Wie im irdischen Leben ergötzt sich die Seele daran, in den Gefilden der Seelenwelt Papyruspflanzen, Binsen und Blumen zu pflücken. Was gibt es nicht alles zu erleben bei einer Fahrt mit dem Boot entlang der Ufer eines großen Stromes! Keine Gefahren lauern dort wie auf der Erde. Zutraulich  gesellen sich Wasservögel zu den gemächlich Rudernden. Berauschend sind die Düfte der Blumen, der süßduftenden Hölzer, des Weihrauchs, des Salböls.

Seelische Stärkung und Erquickung erfährt der Gestorbene durch „himmlische Nahrung“. Er wird „in die Tischgemeinschaft mit Osiris“ aufgenommen. Man reicht ihm Speisen, die nicht verderben, da sie nicht physischer Natur sind. „Zusammen mit den Lebenden“ ißt er vom „Brot der Ewigkeit“: „Dein Brot ist das Gottesbrot“. Alles, was Herz und Magen im Erdenleben erfreuten, steht hier unbegrenzt zur Verfügung: „Weißbrot, Kuchen, Feigen, Mandeln, Früchte, Weintrauben“ ebenso wie kühles Wasser, Milch, Bier und Wein.

Die Lebenswelt der Gestorbenen ist vom Glanz edler Dinge geprägt. Ein „Tausend an Salben, Weihrauch, an allen Geschenken und allen süßduftenden Hölzern, an allen guten und reinen Dingen, wovon die Götter leben“,  steht ihnen zur Verfügung. Der Gestorbene schreitet auf silbernem Boden, edle Gegenstände aus Alabaster und Gold erfreuen seine Augen, über feinstes, blendend weißes Linnen gleiten seine Hände. Er salbt sich mit köstlichem Salböl und trägt duftende Augenschminke auf.

Von „Fülle“ und „Überfluß“ umgeben werden alle Wünsche des Gestorbenen hier Wirklichkeit. Die Gottheit der Mondenwelt, die eigentlich die Große Mutter ist, erweist sich als gütig, barmherzig, wohltuend und milde. Sie lindert alle Sorgen, Nöte und Schmerzen ihrer Kinder und schenkt ihnen ohne Gegenleistung die Freuden eines vom Leibe befreiten Daseins. Und so steht für den Ägypter über dem Eingang der Seelenwelt die Verheißung: „Freude werde dir zuteil!“

Das Leben in der Seelenwelt, der spirituellen Mondensphäre, ist jedoch nur eine kurze Station auf der langen Reise in die Ewigkeit. Wenn alle Wünsche des Herzens ihre Befriedigung gefunden haben, zieht es die Seele zu neuen Ufern. Um die höheren spirituellen Sphären und das Leben in ihnen zu verstehen, ist eine fundamentale Unterscheidung nötig. Die Seele ist grundsätzlich subjektiver Natur, ihr Wesen besteht aus Wünschen, Neigungen, Gefühlen und Trieben, die alle befriedigt werden wollen. Diese Befriedigung erfolgt in der Seelenwelt, einer ebenfalls rein psychisch-subjektiven Sphäre. In ihr gibt es keine Objektivität. Die Befriedigung der Wünsche vollzieht sich dort ohne Beteiligung göttlicher Wesen, von denen in diesem Zusammenhang nicht die Rede ist. In der Seelenwelt genießen die Seelen im Grunde sich selbst. Wollen sie die höheren, göttlichen Welten erleben, müssen sie die Seelenwelt verlassen. Das Wesen der göttlichen Welten ist dagegen rein objektiver Natur, in ihr walten Gesetze, die für die ganze Welt und alle Wesen gleichermaßen gelten. Subjektivität würde dort störend oder zerstörend auf die objektive Ordnung wirken. Mit der Wunschseele können diese Sphären nicht betreten werden. Nur als geistige, objektive Wesen können Menschen dort existieren.

Den höheren, objektiven Teil des menschlichen Wesens nannten die Ägypter den Ach. Er ist das wahre Ich, der Geist, das höhere Selbst des Menschen, das auf der gleichen Ebene wie die Götter leben kann. Es ist Horus, der dem Menschen das höhere Ich, den Ach, verleiht und ihm dadurch zu einer neuen, spirituellen Geburt verhilft. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich der Mensch im Erdenleben darauf vorbereitet hat, wenn er sich „untadelig“ verhalten hat, wenn er das Göttliche verehrte, wenn er der Maat, das heißt der Wahrheit und Gerechtigkeit folgte und sich in die kosmische Ordnung einfügte, wenn er „zuverlässig, verschwiegen und aufmerksam“ war. Diese letzteren Eigenschaften charakterisieren recht gut das Wesen des wahren Ichs, das im Gegensatz zur Seele auf Ernsthaftigkeit, Stetigkeit, Selbstbeherrschung und Strenge gegen sich selbst beruht. Nur mit diesem höheren Selbst kann der Mensch in die Himmelssphären aufsteigen und das Reich des Sonnengottes betreten. Dort im „Lichtland“ wird das höhere Selbst zu einem Lichtwesen, weshalb man „Ach“ auch als den „Verklärten“ übersetzt, wobei diese Bezeichnung allerdings nur einen Teil des Ach-Wesens ausdrückt. Der Ach, das höhere Selbst des Menschen, ist tatsächlich der Vergöttlichung fähig.

Für die Seele gilt es also, Abschied zu nehmen von der Seelenwelt. Die Wunschwelt verlassend, durchschreitet sie nun das „Hohe Tor“ und betritt eine neue Welt, das „Lichtland“. Diese Region des kosmischen Lichtes umfaßt die verschiedenen Himmelssphären bis hin zum Fixsternhimmel. Den ägyptischen Eingeweihten war bewußt, daß es nicht nur einen Himmel gibt, sondern eine Mehrzahl übereinander liegender Himmelssphären. Den Babyloniern, deren Interessen sich weit stärker auf den Kosmos richteten, waren diese Sphären noch besser bekannt. In ihren hohen, mehrstufigen Turmbauten, den Zikkurat, gestalteten sie diese kosmische Stufenordnung. Auch die erste Pyramide Ägyptens, die Stufenpyramide des Königs Djoser, war noch ein solches Abbild des spirituellen Kosmos.

Diese übereinander liegenden Himmelssphären sind nichts anderes als die spirituellen Planetensphären. Das Höhere Selbst des Menschen durchwandert diese planetarischen Reiche, bis es schließlich aufsteigt zum Fixsternhimmel, der Region ewiger, unwandelbarer Existenz. Die ägyptische Totenliteratur nennt nur zwei dieser planetarischen Ebenen, welche die Seele betritt, mit Namen, doch folgt aus der gesamten Konzeption des kosmischen Aufstiegs, daß die geistig und moralisch entwickelten Seelen im Laufe ihrer langen Himmelsreise alle sieben Planetensphären, die mit der Mondensphäre beginnen,  durchschreiten. Dieser Aufstieg durch sieben planetarische Ebenen wurde vor allem in den Mithras-Mysterien beschrieben, was noch zu schildern sein wird.

Zu jeder planetarischen Sphäre führt ein eigenes Tor. Nur wenn man mit speziellen geistigen Eigenschaften ausgestattet ist, kann man die jeweilige Sphäre betreten. Diese sieben Tore kannte auch die babylonische Weisheit. Deshalb heißt es nun für den Himmelswanderer: „Die Tore des Lichtlands sollen dir geöffnet werden, die Riegel sollen sich von selbst vor dir auftun.“ Freundlich heißen die „Türhüter“ den Verklärten willkommen. Die Türflügel öffnen sich vor ihm: „Man öffnet dir den Himmel, damit du ihn betreten kannst.“

Eingehend schildern die Totenliturgien dann den Aufstieg des Geistes durch die Sphären. Der Geist „steigt auf“, er „schwebt empor zum Himmel“. „Nach oben“ führt diese Reise. Götter heben den verklärten Geist empor. Erhebend ist der Anblick, „wenn dieser Gott  zum Himmel aufsteigt“. Auf einer goldenen „Himmelsleiter“ steigt er empor in die Regionen des spirituellen Lichts, wo er „auf  Sonnenstrahlen“ wandelt.

Natürlich ist der Geist in den Himmelswelten nicht allein, vielmehr herrscht dort vielfältige und intensive Kommunikation zwischen den Spirituellen Wesen. Der Verklärte ist nun ein Angehöriger der „Lichtlandbewohner“. Er trifft mit vielen anderen verklärten Menschengeistern zusammen, welche als „Himmelsvolk“ die „Stadt der Ewigkeit“ bewohnen und mit denen er kommunizieren kann. Mit Freuden wird der Neuankömmling von den Himmelsbewohnern willkommen geheißen: „Freundlich ist der, der sich ihm zuwendet, denn ein Erbe ist er von trefflichem Charakter.“ Sofern er ein bedeutender Geist ist, erweist man ihm „Respekt“ und „Ehrfurcht“. Dann versammeln sich sogar die „Großen“ und „Ältesten“ des Lichtlandes, um ihn zu begrüßen, denn jeder Geist bringt auch den bereits „Wissenden“ neue Weisheit mit. Im Lichtland wird jeder Geist seinen Fähigkeiten entsprechend erkannt, „gelobt“ und „geehrt“.

Die Jenseitsberichte der Totenliturgien schildern zahlreiche Vorgänge, Kräfte und Eigenschaften innerhalb der höheren Welten, die von ihnen jedoch nicht ausdrücklich auf die einzelnen Planetensphären bezogen werden. Zu ihnen gehören beispielsweise ganz verschiedene Eigenschaften wie Wissen und Erkenntnis, Schönheit, Licht, Lebenserneuerung, Macht, Weisheit, Gerechtigkeit etc. Diese Eigenschaften können spezifisch auf die verschiedenen Planetensphären bezogen werden. Hier sollen sie deshalb getrennt und geordnet nach ihren planetarischen Bezügen nacheinander besprochen werden. Die erste und unterste Ebene ist die bereits geschilderte Mondensphäre, der kosmische Ort der moralischen Reinigung und zugleich der Wunscherfüllung. Um die folgenden Sphären betreten zu können, muß der menschliche Geist jeweils spezielle Fähigkeiten in sich aktivieren, denn andernfalls könnte er in der entsprechenden Region der Spirituellen Welt nicht leben. Trägt er entsprechende Anlagen in sich, werden sich diese in der betreffenden Sphäre entfalten und weiterentwickeln können.

Auf die Mondensphäre folgt im kosmischen Weltbild der Antike die Merkursphäre. Es war bereits von den „Wissenden“ die Rede, denen der Geist im Lichtland begegnen kann. Wissen und Erkenntnis, wie es sich auf Erden im Tatsachenwissen, im Wissen um die unendlich vielen Einzelheiten der Welt ausdrückt, haben ihren kosmischen Ort in der Merkursphäre. In den Totentexten ist auch die Rede von den „Geheimnissen“, die in einer bestimmten Region der Spirituellen Welt „geschaut“ werden können. Auch die Erforschung des Unbekannten gehört in den Merkurbereich.
 
Auf die Merkursphäre folgt im Weltbild der Antike die Sphäre des Planeten Venus, des Morgensterns. Dieser wird oft als Ziel des Gestorbenen erwähnt. Der Geist wird selbst zum Morgenstern, das heißt er wird eins mit seinen Kräften und Eigenschaften. Die römische Göttin Venus wurde bei den Griechen Aphrodite, bei den Babyloniern Ištar und im Vorderen Orient Aštarte genannt. Ihr entspricht bei den Ägyptern die Göttin Hathor. Sie ist die Göttin der Liebe, des Tanzes und Gesangs und überhaupt aller Freuden. Ihre Verbindung mit dem Morgenstern wurde dadurch angedeutet, daß sie in der Morgendämmerung die Sonne auf ihrem Haupt emporträgt. Zu den spezifischen Attributen von Venus-Aphrodite gehören nach antiker Anschauung auch Schönheit, Schmuck, Kunst, Kleidung, Lebensfreude und vielfältige Sinnesreize wie Farben, Düfte etc.   

Die Totenliturgien ergehen sich mit sichtlicher Liebe zum Detail in Schilderungen der Kleidung, des Schmucks, der edlen Gegenstände, der Wohlgerüche, die dem verklärten Geist zur Verfügung stehen. Immer wieder betonen sie seine „Schönheit“. Feinstes weißes Linnen, in das der Verklärte gekleidet ist, erscheint als äußerer Ausdruck der geistigen und moralischen Reinheit, die der Geist errungen hat. Andere Geister tragen ein goldgewirktes Gewand. Schmuck aus farbiger Fayence, Perlen und Türkis zeigen spezielle Tugenden des Geistes an. Salben, Duftkräuter und Myrrhen strömen berauschenden Wohlgeruch aus und machen die menschlichen Geister den Göttern geneigt. Alle Sinnesreize sprechen hier zum Geiste und tragen zur Steigerung der „Freude“ in dieser Region des Lichtlandes bei, wo der Verklärte leuchtet wie Hathor selbst.

Auf die Venussphäre folgt im Weltbild der Antike die Sonnensphäre. Sie zu erreichen ist vorerst das wichtigste Ziel der Gestorbenen. Sie rückt in das Zentrum ihrer Vorstellungen. Die Sonne, oder besser gesagt der Sonnengott, stellt für alle Geistwesen das höchste Ideal dar, das zu erreichen ihre größte Hoffnung ist. Diese Erwartung wurde in einem Bilde ausgedrückt. Die Sonnenbarke fährt im Tageslauf am Himmel von Ost nach West und taucht dann in den Nachthimmel hinab, um am nächsten Morgen wieder am Osthorizont emporzusteigen. Zusammen mit dem Sonnengott Re und den ihn begleitenden Göttern in der Barke den Himmel zu befahren, war das ersehnte Ziel der entkörperten Geister. Diese Fahrt verbürgte ihnen die Gemeinschaft mit dem Sonnengott. Doch auch im „Palast“ des Sonnengottes wird der Verklärte vom „Sonnenvolk“ freudig begrüßt.

Die Sonne ist die Quelle des Lichtes. Und so werden auch die Verklärten vom Licht des Sonnengottes bestrahlt: „Re komme zu dir, um dir Licht zu spenden. Seine Strahlen überschwemmen deine Augen.“ Spirituelles Licht ergießt sich über den entkörperten Geist und macht ihn „hell“. „Glanz“ strömt nun von ihm selbst aus. „Die Strahlen des Re leuchten in seinem Angesicht“ und lassen es in lichtvoller „Schönheit“ erglänzen. Der Gestorbene ist gleichsam umgeben von einem leuchtenden und funkelnden Lichtmeer, und sein ganzes Innere ist erhellt von der Leuchtkraft spirituellen Glanzes. Auf Sonnenstrahlen wandelnd erfreut er sich unbegrenzter Bewegung in kosmischen Höhen.

Die Sonne ist auch die Quelle des kosmischen und irdischen Lebens, und die Ägypter haben diesen Aspekt immer und besonders stark hervorgehoben. Diese kosmische Lebenskraft geht in der Sonnensphäre nun auch auf den Gestorbenen über: „Der Tod hat mich verloren, vielmehr lebe ich vom Anblick des Re-Atum.“ Das göttliche Leben ist eine eigene, vom göttlichen Bewußtsein zu unterscheidende Kraft, die zu diesem nun hinzutritt. Die von der Lebenskraft erzeugte Gesundheit beruht auch auf der Ganzheitlichkeit. Diese göttliche Ganzheit wird ausgedrückt durch den Namen Re-Atum, der die Gesamtheit aller Götter umfaßt. Die Lebenskraft ist ein erneuerndes und verjüngendes Element, und deshalb wird die Erneuerung und Verjüngung des Gestorbenen in den Totenliturgien stark betont. „Erneuert und verjüngt wie Re“ war deshalb eine häufig gebrauchte Formel, und dem Gestorbenen wird zugerufen: „Du bist neu, du bist neu Tag für Tag!“ „Wir leben wieder von neuem … Der alte Mensch wird abgestreift, ein neuer angelegt.“

Das Sonnenprinzip ist auch die Ordnungsmacht der Welt, und der Sonnengott ist grundlegend verbunden mit der Göttin Maat, der ewigen Ordnung im Kosmos. An dieser Ordnung hat nun auch der in die Sonnensphäre aufgestiegene Geist teil. Auf dem Haupte trägt er eine Krone und in seiner Hand hält er ein Szepter, beides immer und überall die Insignien königlicher, ordnender Macht. Kraft seines neuen, ordnungsstiftenden Amtes, das ihm von den Göttern verliehen wird, kann der verklärte Geist an der Aufrechterhaltung der kosmischen Ordnung mitwirken und in diesem Sinne besitzt er sogar eine Befehlsgewalt über untergeordnete Götter. In einer solchen Funktion erhält er im Weltganzen einen erhöhten Rang, eine neue „Würde“ und wird von den Göttern „geehrt“. Auch die Kategorien von „Ehre“ und „Würde“ gehören zu den spezifischen Kennzeichen der Sonnensphäre.  

Der verklärte Geist wird darüber hinaus auch mit „Zauberkraft“, das heißt mit magisch-spirituellen Kräften  begabt. Seine magische Kraft schreitet ihm sozusagen voran und verbreitet bei den Feinden „Schrecken“. Seine neuen Kräfte verleihen ihm auch Macht über die Elemente im Kosmos und auf Erden. Der Verklärte wird „mächtig und vollkommen“ und Herr auch über die Dämonen. Kraft und Stärke sind Eigenschaften der Marssphäre, die auf die Sonnensphäre folgt. Sie sind notwendig, um sich gegen alle feindlichen Einflüsse wehren zu können. Auch die kosmische Ordnung ist in ägyptischer Sicht vielerlei Angriffen ausgesetzt und muß kraftvoll und furchtlos verteidigt werden.

Als Bewohner der Spirituellen Welten wird der Gestorbene ein Weiser, was auch nicht anders möglich sein kann, da diese ihm unbegrenzte Erkenntnis der göttlichen Dinge bieten. Daß man als im Lichtland Lebender ein „Weiser“ ist, wird in der Jenseitsliteratur unmißverständlich ausgesprochen. Der Verklärte wird zu einem Wissenden, dem die Geheimnisse der Himmel offenbart werden: „Mögest du zum Himmel aufsteigen und schauen, was in ihm ist!“ Der Geist erblickt die „Geheimnisse“, die im Himmel sind: „Mögen dir die Götter ihre Tore öffnen, so daß du erblickst, was in der Geheimen Stätte ist!“ Diese himmlische Erkenntnis ist dem Gestorbenen möglich, weil er mit dem Auge des Geistes sieht, dem Horausauge: „Horus hat dich versehen mit seinem Auge … Horus hat dir dein Auge geöffnet, damit du damit siehst.“ Die Erkenntnis der göttlichen Verhältnisse und Gesetze ist es, was mit der Weisheit gemeint ist. Höhere Erkenntnis und die Schau der göttlichen Geheimnisse sind der Jupitersphäre zugeordnet, die auf die Marssphäre folgt. Im Unterschied zum vielfältigen „Wissen“ in der Merkursphäre besteht die Weisheit der Jupitersphäre in der umfassenden Erkenntnis aller Zusammenhänge und der leitenden Gesetzmäßigkeiten.

Als Weiser und ausgestattet mit der Kenntnis aller Zusammenhänge und Gesetze des Daseins ist der nun vergöttlichte Geist reif geworden zu einer höchsten Aufgabe, zur Wahrung der Gerechtigkeit im Weltganzen zusammen mit den Göttern. Diese höchste und verantwortungsvollste Funktion wird in einem Bilde ausgedrückt: „Du sitzt auf jenem Thron von Erz und sprichst Recht zusammen mit der Neunheit [der ursprünglichen Götter]“. Im griechischen Mythos sind es entsprechend die vergöttlichten Menschen Minos und Rhadamanthys, die eine Funktion als Jenseitsrichter der Seelen ausüben. Die universale göttliche Gerechtigkeit gehört der Saturnsphäre an, der letzten und höchsten der planetarischen Ebenen. Saturn ist der Göttliche Vater in den Mithrasmysterien. Durch die ewigen Gesetze der Gerechtigkeit, des Gleichgewichts von Geben und Nehmen, der Vergeltung des Guten und Bösen und das Schicksalsgesetz schafft er die Grundlagen für das Zusammenleben aller Wesen. Denn ohne Gerechtigkeit würde jede Ordnung über kurz oder lang zerfallen.  

Aber auch mit dem Aufenthalt in der höchsten planetarischen Sphäre ist die Himmelsreise des Gestorbenen noch nicht zu Ende. Es erwartet ihn ein noch höherer Aufstieg in kosmische Weiten, in die unermeßlichen Räume des Fixsternhimmels. Der verklärte Geist läßt nun auch das Planetensystem hinter sich zurück. Er „steigt auf zum Himmel“ zur „Gemeinschaft der Sterne“.

Dieser Aufstieg zu den höchsten kosmischen Ebenen wird von den Totenliturgien in eindrucksvollen Bildern geschildert. „Lichtstrahlen“ bilden eine „Treppe“, auf welcher der Verklärte zur Region der Sterne emporschreitet. Auf ihren Schenkeln hebt Isis ihn empor in die Raumesweiten. Nut, die Himmelsgöttin, „nimmt ihn zu sich zum Himmel“. Sie spielt in den Totenliturgien eine wichtige Rolle. Oft wurde sie auch abgebildet. Als Gestalt von riesigem kosmischem Ausmaß bildet sie den Himmelsbogen nach, wobei ihr Leib mit unzähligen Sternen bedeckt ist.

Dort wird der verklärte Geist nun „aufgenommen“ in die Region der seligen Geister. Er wird „umfangen“ vom Orion und vom Sirius. In der „Umarmung“ durch Isis erfährt er die Seligkeit göttlicher Nähe. Aufgenommen wird er „in die Arme seiner Mutter Nut“ und von ihr umfaßt. In diesen Formulierungen drückt sich die tief empfundene Geborgenheit aus, die der Ägypter im Einswerden mit dem spirituellen Kosmos erlebte und schon in seinem Erdenleben ersehnte.

In dieser Himmelswelt erstrahlt der verklärte Geist nun selbst als ein Stern. Diese ungewöhnliche Aussage ist nur im Zusammenhang mit dem gesamten Prozeß der Erleuchtung, Verklärung und Vergöttlichung des Gestorbenen verständlich. Als Bewohner des „Lichtlandes“ ist er ja bereits dort ein Lichtwesen geworden. In der Sonnensphäre war er von den Strahlen des Sonnengottes durchdrungen worden. Sein ganzes Wesen wurde erhellt, und er gab dieses innere Leuchten als strahlenden Glanz an seine Umwelt ab. Dieser Lichtglanz ist Ausdruck der inneren Vollkommenheit des jeweiligen Geistes. Es ist kein äußeres, sondern ein spirituelles Licht, das seine Weisheit, seine Tugenden, seine moralischen Eigenschaften zur Erscheinung bringt. Im Zuge seiner Vervollkommnung wird der menschliche Geist den Göttern gleich zu einem strahlenden Lichtwesen. Auch das mit den Augen sichtbare Licht der Sonne ist unter diesem Blickwinkel die sinnenhafte Offenbarung eines unermeßlichen, übersinnlichen Glanzes, der von einem göttlichen Wesen ausstrahlt. Das gilt gleichermaßen für alle Sterne: Ihr Glanz ist Ausdruck der inneren Erhabenheit eines spirituellen Wesens.

Der Gestorbene ist nun „einer, der verklärt wurde wie Re“ und erscheint selbst als ein heller Stern: „Du strahlst als einzelner Stern am Leib der Nut.“ Der Verklärte „blitzt auf als Einzelstern inmitten der Nut“. Als „unvergänglicher Stern“ bewegt er sich am Leib der Himmelsgöttin und vollzieht  zusammen mit den anderen Sternen den täglichen Himmelskreislauf.

Der Geist hat sich „einen Sitz aufgeschlagen unter den Sternen des Himmels“. Er lebt nun „in der Gemeinschaft der Sterne“. Orion oder der Große Bär bereiten dem Verklären einen Ort als Wirkungsstätte seines künftigen kosmischen Daseins. Das höchste Ziel der Gestorbenen ist es, unter die Zirkumpolarsterne aufgenommen zu werden, die niemals unter den Horizont sinken. Dort am Himmelspol ist nach der Auffassung vieler Völker der Ort des höchsten Göttlichen.

Auch in den kosmischen Weiten ist der Geist nicht allein, er lebt „unter den Verklärten, den unvergänglichen Sternen“, die sich ihm zuneigen: „Mögest du dich verbrüdern mit ihren Sternen.“ In dieser Region kann der Mensch auch aufsteigen zu höchster Erkenntnis: „Mögest du Nut erreichen und die Geheimnisse schauen!“

Der gesamte Aufstieg durch die Planetensphären bis zur Region der Fixsterne ist dem Gestorbenen nur möglich durch die gleichzeitige schrittweise Vervollkommnung seiner Eigenschaften und Fähigkeiten. Auf diesen Wegen überschreitet er das bloße Menschsein und erringt sich eine höhere Existenzform. Er wird selbst zu einem Gott. Diese Verwandlung in ein göttliches Wesen wird in den Jenseitsliturgien stark betont, immer wieder ausgesprochen und in vielen Einzelheiten ausgemalt.  

Der Gestorbene lebt im Lichtland nicht nur mit anderen Verklärten, sondern auch mit Göttern zusammen: „Allen Göttern, denen du auf Erden gefolgt bist, trittst du nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber, sie sind bereit, deine Seele zu empfangen.“ Er ist „vereinigt“ mit den Göttern. Thot streckt seine Hand nach ihm aus. Der Verklärte lustwandelt im Gefolge des Horus. Er hat Gemeinschaft mit dem Sonnengott und dessen Gefolge. Er „ergreift die Hand der Unvergänglichen“. Isis sagt zu ihrer Schwester Nephthys: „Dies ist unser Bruder!“ Die „Paläste der Götter“ stehen ihren menschlichen Brüdern offen, und „ihre Türflügel öffnen sich ihnen“. „Mögen die Götter dir ihre Tore öffnen, so daß du erblickst, was in der Geheimen Stätte ist.“

Der verklärte Geist hat jedoch nicht nur Gemeinschaft mit den Göttern, er wird in zunehmendem Maße vergöttlicht und selbst ein Gott. Zahlreich sind die Aussagen der Totenliturgien, welche die Vergöttlichung des Menschen schildern. Das kommt schon in der Anrede des Gestorbenen durch den Vorlesepriester zum Ausdruck: Er wird als ein „Osiris“ angesprochen (z. B. „Osiris Ahmose“). Indem die Seele ihre menschlichen Unzulänglichkeiten abstreift, wird sie ein Teil der Großen Seele des Weltalls, die durch Osiris verkörpert wird: „Meine Seele ist göttlich im Heiligen Land.“

In immer neuen Wendungen beschreiben die Liturgien  die neue, übermenschliche Existenz des Gestorbenen. Er „wird dort sein wie ein Gott, frei schreitend wie die Herren der Ewigkeit“. Der verklärte Geist ist „zum Gott eingesetzt“, er „existiert als Gott“: „Du bist ein Gott, du währst als Gott.“ Der verklärte Geist besitzt nun selbst göttliche „Würde“. „Im Gottespalast jubelt ihm das zahlreiche Sonnenvolk zu.“ Die Götter „preisen“ und „ehren“ ihn.

Nachdem der Geist sich Weisheit errungen hat, wird ihm nun auch göttliche Macht zuteil. Als äußere Zeichen dieser neuen, übermenschlichen Macht werden ihm Krone und Szepter verliehen. Er sitzt auf einem „erzenen Thron“ und erfüllt Aufgaben, die ihm von den Göttern zugeteilt werden. Der verklärte Geist „erteilt Befehle wie ein Gott“. Ihm untergeordnete Götter „gehorchen“ seinen Weisungen. Fast unbegrenzt scheint die spirituelle Macht, die er nun besitzt: „Ergreife dir den Himmel, nimm dir die Erde in Besitz!“ Der Gestorbene hat sein bloßes Menschsein überwunden und das Ziel der Evolution erreicht. Dadurch führt er der göttlichen Welt neues Leben zu, was in den Totenliturgien auch ausgesprochen wird. Die Götter warten also auf ihre menschlichen Brüder
und Schwestern und erhoffen sich von ihnen neue Impulse für ihre eigene Welt!