DIE MODERNE SPIRITUELLE WISSENSCHAFT
Welt und Mensch als Schöpfung der Universalen Intelligenz und Weisheit



Nach unserer langen Weltrundreise sind wir nun im Italien des 14. Jahrhunderts angelangt. Dort lebte von 1265 bis 1321 Dante Alighieri, der größte Dichter Italiens. In Florenz geboren wurde er später im Zuge unaufhörlicher Parteienkämpfe aus seiner Heimatstadt verbannt. Von ihm stammt die „Divina Commedia“, die „Göttliche Komödie“, die größte Jenseitsdichtung der Weltliteratur. Dante war ein universal gebildeter Geist, ein Gigant unter seinen Zeitgenossen. In seinen Werken vereinte er eine erlesene dichterische Sprache mit einem weitgespannten Wissen. Zusätzlich zu den theologischen Ausführungen ist die „Göttliche Komödie“ auch ein Lehrbuch der Geographie, Astronomie und Geschichte. Das geistige und sprachliche Niveau des Dichters ist dabei so hoch, daß dieses Werk kaum noch geduldige Leser finden dürfte.  

Wir können nicht daran zweifeln, daß seiner Jenseitsschilderung ein wirkliches Erleuchtungserlebnis zugrundelag. Visionen und Entrückungen der Seele waren im Mittelalter keineswegs so ungewöhnlich wie in heutigen Tagen. An bestimmten Schilderungen Dantes erkennt der Spiritualist die Echtheit seiner Erfahrungen. Seine Erlebnisse hat der Dichter dann kunstvoll ausgearbeitet und mit einem umfassenden Wissen verbunden. Da er ein politischer Mensch war, finden sich in seinem Werk auch historisch-politische Exkurse, verbunden mit härtester Kritik an Zuständen und Personen. Dante war kein kirchlicher Frömmler. Unverblümt ist seine Kritk auch an den kirchlichen Verhältnissen. Dante war auch der erste große Freigeist Europas. Und so wird es immer sein: Spirituelle Erfahrungen und Freiheitsbedürfnis haben eine ewige Ehe geschlossen!

Zum letzten Mal hatte ein Europäer den Aufstieg durch die spirituellen Planetensphären bis zum Fixsternhimmel erlebt. In Dantes Jenseitswanderung erblicken wir die Abenddämmerung einer viele Jahrtausende alten Einweihungstradition. Als Dantes Seele nach ihrer Himmelsreise in den Körper zurückkehrte, schlossen sich die Tore der Himmelssphären für lange, lange Zeit. Ob und wann sie sich wieder öffnen bleibt ungewiß. Trotz mancher Einschränkungen durch kirchlich-dogmatische Vorgaben ermöglicht uns die „Göttliche Komödie“ ein Verständnis der früheren Mysterientraditionen. Deshalb wird sie hier auch aufgenommen.

Am ehrlichsten war Dante zu Beginn seines Werkes. Wenn sich vor dem Menschen das Tor zur Seelenwelt öffnet, dann erlebt er zum ersten Mal eine wirkliche Selbstbegegnung. In bildlich-symbolischer Form zeigen sich seinem nunmehr geöffneten Seelenauge die Triebe und verborgenen Bestrebungen seines Unterbewußtseins, die er in seinem Oberflächenbewußtsein nur allzu gerne verdrängen möchte. Jetzt aber kann er ihnen nicht mehr entfliehen: Das Tor ist geöffnet – aber für beide Seiten! Alles das, von dem er sonst nichts wissen wollte, dringt nun in sein Bewußtsein ein. Der Mensch erlebt sich als nackt, entblößt von allen Maskeraden. Das ist für alle auf Erden weilenden Menschen ein schockartiges Erlebnis, da die vielen Illusionen, die sie sich in bezug auf ihre Person gemacht hatten, mit einem Schlag zerstört werden.

Gleich zu Beginn der Reise findet sich der Dichter „in finstren Waldes Nacht verschlagen“ [22]. Der Weg zum Geist führt für den Menschen durch Nacht zum Licht. Niemand kann in die Sphären des Lichtes aufsteigen, der nicht zuvor in die dunklen Tiefen der eigenen Seele hinabgestiegen ist. „Wie hart ists, ach, von diesem Walde sagen, wie wild und rauh und dicht sein Dickicht droht: Dran denken nur macht noch aufs neu mich zagen!“ In den dunklen Tiefen des Unterbewußtseins manifestieren sich die im Menschen waltenden triebhaften Neigungen und Tendenzen als tierische Gestalten. Im Waldesdunkel stellt sich dem Dichter nun ein Panther in den Weg. „Nicht aus den Augen wich er, aller Enden den Weg mir sperrend.“ Mehrmals muß der Dichter deshalb umkehren. Kaum hat er den Panther hinter sich gelassen, kommt ein Löwe auf ihn zu, „in seines Hungers Wut so grimmig, daß die Luft mir schien zu beben“. Nicht genug damit, sieht er sich auch von einer Wölfin bedroht, „trächtig von der Glut jedweder Gier … Sie machte starrend mich vor Furcht erbleichen“. In höchster Not erscheint dem Dichter eine Gestalt, die sich als die Seele des antiken römischen Dichters Vergil zu erkennen gibt. Er nun wird dem Dichter zum Führer durch die jenseitigen Reiche.

Die genannten Tiere sind symbolische Ausdrucksformen der Triebe im Menschen, die sein tierisches Erbteil bilden. Der Panther steht für Wildheit, der Löwe für Stolz, Ehrgeiz und Herrschsucht, die Wölfin für Gier und bei Dante für die gefräßige Machtgier Roms, dessen Symboltier sie war. Diese vom Dichter geschilderte Selbstbegegnung erweist nicht nur seine Ehrlichkeit, sondern auch seine weiteren Visionen als aus eigenem übersinnlichem Erleben stammend. Wir verstehen nun noch besser, warum die Novizen aller Mysterien harten Prüfungen unterworfen wurden. Sie mußten Mut, Unerschrockenheit und Selbstbeherrschung lernen, damit sie nicht beim Überschreiten der Schwelle vor Schreck erstarrten oder unter die Herrschaft der unterbewußten Triebe gerieten.

Nach diesem Vorspiel führt die Wanderung der beiden Dichter durch die Reiche der wirklichen Seelenunterwelt, die im Christentum als die Hölle bezeichnet wird. Dort halten sich Seelen auf, die im Leben von lasterhaften und verbrecherischen Neigungen so weit beherrscht wurden, daß das ewige Licht in ihnen verschüttet worden ist und sie als Folge ihres Verhaltens keinen Antrieb mehr verspüren, in die Reiche des Geistes aufzusteigen. (Im Gegensatz zu den  Religionen sieht der Spiritualismus diesen Zustand grundsätzlich nur als einen vorübergehenden an. Jede Seele kann sich das Licht und den Aufstieg in künftigen Erdenleben neu erringen, wenn sie nur will. Die entwickelten Menschen stehen ihren verirrten Brüdern und Schwestern dabei hilfreich zur Seite). Hier kann auf die ausführlichen Schilderungen Dantes nicht eingegangen werden. Betont werden muß aber, daß die meisten alten, auf spirituellen Grundlagen beruhenden Kulturen diesen Bereich der Seelenwelt kannten. Am ausführlichsten ist er in den Jenseitsbüchern des alten Ägyptens beschrieben worden, aber auch von Gotamo Buddha. (In der indischen Mythologie wäre dies das Reich der Asuras, das von unentwegtem Haß und Streit geprägt ist).  

Als zweiten großen Bereich durchwandern Dante und Vergil die spirituellen Sphären, die im mittelalterlichen Christentum als Purgatorium oder „Fegefeuer“  bezeichnet wurden. Mit dem Wort „Purgatorium“ ist ein „Ort der Reinigung“ gemeint. Um weiter aufzusteigen in die Reiche des Lichtes, muß die Seele sich reinigen von allen Bestrebungen des Egoismus und allen Trieben, die der Befriedigung selbstsüchtiger Begierden dienen. Solche selbstsüchtigen Triebe werden in dieser Welt als verzehrendes seelisches „Feuer“ erlebt. Durch die verzehrende Glut selbstsüchtiger Bestrebungen wird das Ego im Menschen gleichsam „verbrannt“. Doch jedes Feuer erlischt einmal. Dann schwingt sich die von allen triebhaften Verstrickungen befreite Seele auf in die Sphären des Lichtes, wie der Vogel Phönix, der verbrannte und sich wieder verjüngte. Diese Sphäre der Reinigung der Seele gehört bereits in die spirituelle Mondensphäre. Das war Dante als einem Angehörigen des christlichen Mittelalters allerdings nicht mehr bewußt.    

Nachdem er die Sphäre der Reinigung der Seele durchwandert hat, ist der Dichter nun „rein und bereit zum Aufflug in die Sterne“, in die Räume des Himmels, die er in seiner Dichtung das „Paradies“ nennt. Geblendet vom Licht kann selbst ein großer Dichter kaum in Worten ausdrücken, was dort zu sehen ist. „Die Herrlichkeit des, der das All läßt schwingen, strahlt aller Welt, und wider strahlt ihr Licht, hier mehr, dort minder, all aus ihren Ringen. Im Himmel war ich, … sah dort, was zu sagen dem, der herabkam, Sinn und Wort gebricht.“ Als Führerin in diesen Welten steht dem Dichter nun Beatrice, seine unsterbliche, vergeistigte Geliebte, zur Seite. Sie lenkt seinen Blick in die Höhen des Geistes, und dem Dichter werden dabei die übermenschlichen Fähigkeiten der Seele bewußt: „Wie über menschlich Sein sich kann erheben der Mensch, erhellt kein Wort.“ Mit dem spirituell geöffneten Ohr der Seele hört er die Musik der Sphären. Staunend erlebt der Dichter zum erstenmal den Flug der Seele: „Jetzt staun ich, wie dies Schweben durch also leichten Stoff mich tragen kann!“  Beide nähern sich der Mondensphäre, was Beatrice ihrem Seelenfreund erklärt: „Dahin nun, in verheißner Heimat Hallen, trägt dich der Sehne Kraft … Nicht mehr darf dieser Flug, den du geflogen, dich wundern!“

 Die Himmelsreisenden gehen nun in den „ersten Stern“ ein. „Mir war, als hätt uns einer Wolke Weben, hell leuchtend, dicht, geballt und fleckenrein, ein Diamant im Sonnenstrahl, umgeben. In ihren Schoß ließ uns die Perle ein, die ewige, wie, ohne Raum zu lassen, ein Wasser einläßt allen Lichtes Schein.“ Der Dichter fühlt sich nun „dem Tal der Sterblichkeit“ entronnen. Die Gesichter der hier in der Mondensphäre weilenden Seelen erscheinen dem Dichter „wie helles Glas, durchsichtig ganz und gar“. Hier trifft er die Seele Piccardas, der verstorbenen Schwester eines Freundes. Sie erklärt ihm, daß sie im Leben ihre Pflichten als Klosterschwester vernachlässigt habe. Doch Dante vermag sie zu trösten: „In Eurer Augen Licht strahlt so ein Göttliches, … das wandelt Euer einstig Angesicht.“ Die strahlendste unter ihren Gefährtinnen ist die verstorbene Kaiserin Konstanze. Auch Beatrices Züge sind verklärt. Es „strahlte, daß ichs lange nicht ertragen, ins Auge mir ihr Antlitz, hell, entbrannt“.

Darauf eilen beide „dem zweiten Reiche zu“. Sie sehen sich umgeben vom Glanze von tausend Lichtern, den Bewohnern der Merkursphäre. Dort trifft Dante auf die Seele Justinians, eines verstorbenen römischen Kaisers. Er gibt dem Dichter einen Rückblick auf die Geschichte Roms von Caesar bis Karl dem Großen. Damit wird er zum Sprachrohr Dantes, der sich um das Schicksal Italiens sorgt. Die Gestalt Justinians steht hier für das Ideal eines tätigen Lebens, das sich auch der Politik nicht versagt. „Nun hör: belebt ist dieser kleine Stern mit guten Geistern, die sich tätig Leben erwählt.“ Merkurs Wesen sah das Mittelalter in nie ruhender Betriebsamkeit.

Die Seelenwanderer betreten daraufhin die „dritte Himmelsbahn“. Hier herrscht Venus-Aphrodite, im Altertum auch Cypris genannt, da ihr Kult ursprünglich aus Zypern stammte. „Mit ihrem Namen ward der Stern genannt, der stets zur Sonne blickt mit Liebesflehen … Nicht spürt’ ich dort hinan des Fluges Wehen; daß wir am Ziel, des gab der Herrin Wange mir Zeugnis, immer schöner anzusehen!“ Hier in der Venussphäre naht sich dem Dichter die verstorbene Cunizza, die Schwester des Fürsten Ezzelino. Auf Erden hatte sie viele Liebesabenteuer, unter anderem mit dem Minnesänger Sordello. Stets war Aphrodites Liebessehnsucht in ihr lebendig: „Cunizza hieß ich, muß im Glanz hier schweben, weil dieses Sternes Leuchten mich bezwang.“

Die Wanderer erreichen nun die Sonnensphäre. „Bleibt unsres Schauens Kraft am Boden liegen vor solcher Höh, kein Wunder ists fürwahr, kann doch kein Blick die Sonne überfliegen. So strahlt hier Gottes vierte Jüngerschar.“ Auch hier wird der Dichter freundlich willkommen geheißen. „Viel Lichter, sieghaft strahlend, sah ich kommen, zum Kranz um uns sich reihend.“ Hier wird der Dichter von dem großen Theologen Thomas von Aquin angesprochen. Er gehört zu einem Kreis von zwölf großen Kirchenlehrern, Mystikern und Heiligen, die sich hier dem Dichter zeigen. Die Größe und Weite ihrer Gedanken, ihre hohe Stellung und erhabene Würde entsprechen der Bedeutung der Sonne als Mittelpunkt und Beherrscherin des Planetensystems.

An den glutroten Lichtern, die sich nun nahen, erkennt der Dichter, daß sie sich in der Marssphäre befinden. Diese Lichter „funkelten mit Macht“, eine Gabe, die der Mars verleiht. Auch erscheint ein Bild des Kreuzes als Zeichen der für den Glauben kämpfenden Kreuzritter. In dieser Sphäre feiert man den Sieg Christi über den Tod und die Macht der Materie. Dieser Sieg führt für alle Menschen zur Auferstehung. In der Marssphäre begegnet dem Dichter auch ein Vorfahre, der unter Kaiser Konrad Kriegsdienste geleistet und am Kreuzzug gegen die Sarazenen teilgenommen hatte. Es folgen lange Ausführungen seines Ahnen über Geschichte und Politik und das Schicksal des Dichters in den politischen Wirren Italiens. Dante nutzt hier den Aufenthalt in der Marssphäre zu einer Generalabrechnung mit der auch für ihn selbst desaströsen Politik seines Vaterlandes. Diese langen Passagen entsprechend voll und ganz dem Wesen des Mars, dessen ganzes Streben der Erkämpfung der Macht unter Einsatz der Stärke gilt. Der Blick in die Geschichte geht noch weiter zurück zu den Helden der Vergangenheit, zu Josua und Judas Makkabäus, zu Roland und Karl, den Helden des Frankenreiches, zu den Kreuzrittern Gottfried von Bouillon und Robert Guiscard. Den meisten Raum nimmt bei Dante die Schilderung der Marssphäre ein. Sie war auch am leichtesten und reichsten mit Gestalten der Politik und Kriegsführung zu füllen.

Nun steigen Dante und Beatrice auf in die sechste Planetensphäre, in das Licht eines „milden Sterns“, des Jupiter. In seinem Licht erscheint der Adler als das alte Symboltier des Gottes, der sich in die reinen Höhen des Himmels erhebt. Die Seelen dieser Sphäre „glichen Karfunkelsteinen, in denen flammt des Sonnenlichtes Schimmer“. In dieser Sphäre ringt der Dichter mit höchsten und schwierigsten Fragen des Glaubens. Wie kann es sein, daß den „Heiden“, selbst wenn sie moralisch untadelig waren und das Christentum gar nicht kennen konnten, der Zugang zu den Pardieseswelten versperrt ist? Scheinbar unterwirft sich Dante dem christlichen Dogma, daß der Mensch die göttliche Gerechtigkeit nicht kenne und nicht in Zweifel ziehen dürfe. Doch bleibt das Problem ungelöst. Auf der anderen Seite stehen sogenannte christliche Herrscher, die schlimmstes Unrecht gegangen haben; ihre schändlichen Taten werden vom Dichter aufgezählt. So stark berührt den Dichter das Problem, daß er zwei „Heiden“ erwähnt, die ins Paradies gelangten, unter ihnen der römische Kaiser Trajan.

Nun sehen sich Dante und Beatrice „zum siebten Stern emporgetragen“. Beatrice enthält sich jetzt des Lächelns, denn das von ihrem Antlitz ausgehende Licht würde ihren Dichterfreund zu sehr blenden. Hier erscheinen dem Dichter einsame, weltflüchtige Asketen, deren ganzes Streben nur noch darauf gerichtet ist, sich mit Gott zu vereinigen. Sie kommen aus noch höheren Welten eine goldene Leiter herabgestiegen. Im Gespräch mit dem Dichter beklagen sie den Niedergang des spirituellen Lebens auf Erden.

Die siebte Sphäre bedeutet jedoch noch nicht das Ende der Himmelsreise. Auf der goldenen Himmelsleiter steigen Dante und Beatrice nun in die Sternenwelt empor. Der Dichter fühlt sich als erstes zu dem Sternbild hingezogen, unter dem er selbst geboren wurde, den himmlischen Zwillingen. Im Blick zurück überschaut er die sieben Planetensphären und den winzigen Erdball.

Dante gelangt nun in das Reich der seligen Geister, welche die weiten Sternenräume bewohnen. „Als Sterne kreisend sah ich flammend helle die seligen Geister.“ In diesen höchsten Sphären werden die entkörperten Seelen zu strahlenden Lichtwesen. Dann wird ihm die Schau der Engelwelten zuteil. Neun Ringe aus Licht kreisen um einen Mittelpunkt, das göttliche Zentrum des Universums. „Die beiden ersten Ringe zeigen der Seraphim und Cherubine Walten.“ Die genannten Cherubim werden bereits in der Bibel ausführlicher beschrieben. Im eigentlichen Sinne gehören nur diese beiden Engelordnungen zum Bereich der Fixsternwelt. Die sieben anderen Klassen von Spirituellen Wesen verteilen sich absteigend auf die sieben Planetensphären, angefangen mit den „Thronen“, die zur Saturnsphäre gehören. Dante benennt diese Wesen nach der christlichen Tradition, die bereits in der Bibel angedeutet und später von dem christlichen Mystiker Dionysius Areopagita detailliert ausgearbeitet wurde: Herrschaften, Kräfte, Mächte, Fürstentümer, Erzengel, Engel. Aufgrund der Vorgaben kirchlicher Dogmatik war der Dichter gezwungen, die Engelordnungen in die Fixsternwelt zu verlegen, das heißt aber in Sphären, zu denen sie nicht gehören und die ihnen auch nicht zugänglich sind. Engel, die zur untersten, erdennahen Sphäre gehören, sind nach biblischer Aussage den einzelnen Menschen als Beschützer zugeordnet, Erzengel den verschiedenen Völkern. Man ersieht hieraus, in welchem Grade sich die kirchliche Dogmatik verfälschend in die Schau des Dichters eingemischt hat.

Die Lichtfülle, die den Dichter in der Fixsternsphäre umgibt, ist für ihn kaum zu ertragen, wird aber gemildert durch die im göttlichen Licht enthaltene Liebe und Freude. „Dem weitsten Kreis der Körperwelt entronnen sind wir im Himmel nun, der pures Licht: Ja, Licht des Geistes, aller Liebe Bronnen, Liebe zum wahren Gut, an Freuden reich, Freude und Wonne über alle Wonnen!“ Bei diesen Worten Beatrices wird die Seele des Dichters noch weiter erhoben: „Da fühlt’ ich hoch mich selber sich erheben, weit über alles, was an Kräften mein.“ Dann umspannt sein Blick die Gesamtheit der entkörperten Menschengeister. Sie erscheint ihm im Bilde einer goldenen Himmelsrose von riesiger   Ausdehnung. Die Schau des Dichters weitet sich immer mehr ins Unermeßliche: „Zu groß nun wird die Fülle der Gesichte!“ Dante erkennt, daß das göttliche Licht die Wahrheit ist. Es schenkt der Seele die Erkenntnis aller Dinge: „Ein Augenblick läßt tiefren Blick mich tun als viel Jahrhunderte das Abenteuer.“ Die letzte und höchste Erkenntnis besteht in der Wahrnehmung der göttlichen Urdreiheit: „Tief in des hehren Lichtes klarem Scheine erstrahlte dreier Kreise Leuchten mir.“ Mit einem Hymnus auf das Licht beschließt der Dichter seine Jenseitsreise: „O ewig Licht, das in sich selber ruht.“  

Aufgrund seiner erhabenen Jenseitsdichtung sind die Europäer Dante Alighieri zu großem Dank verpflichtet. Er hat ihnen damit eine Anknüpfung an die Einweihungserlebnisse der Vergangenheit ermöglicht. Seine Dichtung muß jedoch vor dem Hintergrund des früheren Mysterienwissens gelesen werden. Im Lichte dieses Wissens werden die in seinem Werk vorhandenen kirchlich-dogmatischen Vorgaben als unhaltbar erkannt. Daß es Nichtchristen verwehrt sein soll, in die Himmelswelten aufzusteigen, ist absurd und zeugt von einem beispiellosen Hochmut. Nähme man diesen Gedanken ernst, dann wären in der vorchristlichen Vergangenheit niemals Menschenseelen in die Himmelswelten gelangt, weder durch die Einweihung noch nach dem Tode. Alle in diesem Buche beschriebenen Vorgänge wären dann nichtig, unsinnig, bloße Träume,  Phantasmen, Hirngespinste. Das kirchlich-dogmatische Christentum steht bis heute auf diesem Standpunkt, obwohl es über seine Auffassung wohlweislich nicht spricht. Denn wenn zahlreiche nichtchristliche Menschen in die Himmelswelten gelangten, dann wäre ja die Erlösung allein durch Christus hinfällig und würde nicht gebraucht. Schon allein aufgrund dieses allerersten Glaubensgrundsatzes kann das Christentum eine himmlische Existenz von Nichtchristen nicht anerkennen. Mit seinen Dogmen hat sich das Christentum selbst ein Gefängnis geschaffen, aus dem es keinen Ausweg gibt.

Unhaltbar ist auch die Trennung der Engelhierarchien von den Planetensphären. Daß Engel und Erzengel – als Beschützer einzelner Menschen und Völker in der Erdensphäre wirkend – in die Fixsternsphäre versetzt werden, ist völlig abwegig. Dante mußte es wegen kirchlich-dogmatischer Vorgaben so schildern, weil die Kirche die Planetensphären, das heißt aber auch die kosmischen Wirkungen insgesamt, unbedingt aus ihrem Weltbild verbannen wollte. Deshalb nennt Dante die Planeten auch nicht bei ihrem Namen! Damit schaffte die Kirche auch den Menschen als Mikrokosmos ab. Die menschliche Seele ist nach kirchlicher Auffassung keineswegs ein Teil der Weltseele und kann sich deshalb auch nicht aus eigener Kraft in deren Sphären begeben. Wie man sieht, ist dieses antispirituelle Weltbild auf seine Weise ebenso logisch wie das spirituelle. – Dante war auf Grund der im Mittelalter herrschenden Verhältnisse gezwungen, diese dogmatischen Vorgaben in seine Jenseitsdichtung aufzunehmen. Der Spiritualist wird ihm selbst diese Irrtümer nicht anrechnen. Er überläßt dem Leser die Bewertung einer Religion, die solche Irrtümer zu obersten Glaubenssätzen erhoben hat.